Gottfried Mayerhofer - Schrifttexterklärungen - Gottfried Mayerhofer

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Ihre Augen wurden gehalten…


„Ihre Augen wurden gehalten, dass sie Ihn nicht kannten..."
Lukas, Kap. 24, V. 16


Dieser Text scheint an und für sich unbedeutend, und ist nur die Folge vom vorhergehenden, wo gesagt wird: „und sie, die Jünger nämlich, wandelten mit Ihm.“ Nachdem aber in den Evangelien nichts geschrieben steht, was nicht auch Bezug hätte auf euch sowie auf die ganzen Menschheit, so wollen wir den Text etwas näher betrachten. Der Text heißt also, „Jesus kam zu Seinen Jüngern auf dem Weg, redete mit ihnen, und gemäß Seines eigenen Willens wurden ihre Augen gehalten, dass sie Ihn nicht erkennen sollten.“
Warum tat dieses aber Jesus? Weil er während des Weges sie erst vorbereiten wollte, Seine Gegenwart zu ertragen, nachdem sie Ihn für verloren geglaubt, getötet, und so auch von Seiner Auferstehung noch nichts als von den Weibern leise Andeutungen erhielten, denen sie aber nicht ganz Glauben schenken mochten.
Was bei den Jüngern in jener Zeit von Mir aus geschehen, und wie sie vorbereitet wurden, Meine Gegenwart dann erst besser zu ertragen, das geschieht auch jetzt immer bei allen, die Mich suchen, und in allen Zeiten oft sich nach Mir gesehnt haben. Ich kann Mich solchen sehnsüchtigen Herzen ebenfalls nicht sofort zeigen, sondern lehre sie zuerst wie z.B. euch durch den Mund Meiner Knechte Mein Wort nach und nach erkennen; ist dasselbe einmal erkannt, dann muss es begriffen und der Glaube befestigt werden, dass es von Mir ist, denn ohne den Glauben, dass es Mein Wort ist, kann es den Eingang in die Herzen der Suchenden nicht erhalten.
Erkennen Sie aber einmal die Vaterstimme und fühlen sie in ihrem Inneren, dass selbe eine gelinde Wärme verbreitet, so werden die Suchenden immer weiter geführt, in süßen Ahnungen sich wiegend, jedoch „ihre Augen sind noch gehalten“, dass sie Mich nicht ganz erkennen; sobald aber das Insichgreifen und Eindringen Meiner Liebeworte stets stärker und stärker wird und das Licht des Glaubens stets heller und heller, dann fängt es auch an, aus den lichten Nebelgestalten von wonnigen Gefühlen und süßen Ahnungen nach und nach sich aufzuklären, dass hinter diesen Worten noch viel Herrlicheres verborgen ist; die Nebelgestalten bekommen Form, und aus dem allem formt sich dann erst aus dem großen Schöpfer alles Geschaffenen das sanfte Bild eines Vaters, angetan mit dem Kleid der Liebe.
Und wie es bei Meinen Jüngern geschah, dass selbe Mich dann erkannten als Ich das Brot brach, ebenso erkennen Mich dann die Suchenden in allem Geschaffenen, indem selbe zum Teil wiedergeboren das Geistige in allen Dingen hervorsprießen sehen als geistige Abkömmlinge Meines Ichs. Dieses Erwachen des geistigen Erkennens aber, zu mächtig, um auf längere Zeit ertragen zu werden, ist ebenso wie bei Meinen Jüngern, wo diese, nachdem sie Mich erkannten, in Liebe entbrannten, und Ich, um sie nicht zu vernichten, Mich wieder unsichtbar machen musste, und erst als sie ruhiger waren, wieder eintrat, und ihnen Meine Wunden zeigend, die Furcht vor Mir benahm, dass Ich doch nicht ein bloßer Geist, sondern ein Mensch wie sie war, und erst später bei der Auffahrt zum Himmel vergeistigt ihren Blicken entschwand.
So geht es eben jetzt bei euch, Meine lieben Kinder. So manchen von euch sind noch die Augen gehalten, sie erkennen oder dürfen Mich noch nicht erkennen, sondern sie ahnen nur das Göttliche, je weiter sie aber geführt werden, desto klarer wird ihnen Mein Wort und Mein Ich werden, und sind sie endlich da angelangt, dass sie das größte Licht aus den Himmeln ohne Scheu ertragen können, dann wird die Binde von ihren Augen fallen, und sie werden dann den Jesus als Vater und Schöpfer zugleich in Seinem Glanz ersehen und ertragen können.
Auch bei eurem vorigen Akt der Kommunion, wo Ich mitten unter euch war, stieg in mehreren Herzen der Wunsch auf, wenn jetzt der Vater Sich sichtbar zeigen möchte, welcher Jubel, welche Seligkeit wäre das!
Meine lieben Kinder, unter euch war Ich wohl, doch diese Freude konnte ich euren Seelen, solange sie noch von irdischen Banden zu sehr befangen werden, nicht erlauben; ihr hättet es nicht ertragen, und dann wäre euer späteres Handeln eingedenk Meiner sichtbaren Erscheinung so gezwungen gewesen, dass all euer freier Wille dahingegangen wäre. Auch eure Augen wurden gehalten, dass sie Mich nicht kannten, denn auch ihr wart nicht reif und nicht vorbereitet auf solch eine Gnade von Mir, die nur schädlich, aber nicht wohltätig auf eure Seelen eingewirkt hätte.
Seht das Licht der Sonne, wie wohltätig, wie alles Leben erweckend ist es. Jede Kreatur freut sich ihres Lebens unter diesem sanften Einfluss des Lichts und der Wärme, und doch diesem Segensbringer gerade ins Angesicht zu schauen, wer wagt es ohne die Gefahr zu erblinden? Und warum dieses? Weil eure irdischen Augen nicht geschaffen sind, die ganze Macht dieses Lichts zu ertragen. So wie das plötzliche Eindringen dieses Lichts auf die Netzhaut eures Auges eine zusammenziehende Wirkung und großen Andrang des Bluts hervorbringen würde, dem die Blindheit folgen könnte, ebenso wäre Mein geistiges Licht oder Ich Selbst euch sichtbar gegenüber für eure Herzen so zusammendrückend, dass ihr dessen Einfluss nicht ertragend dahin sinken würdet, und erst wenn der Strahl einer anderen Welt mild und sanft in eurer Seele aufgehen würde, dann erst, das Irdische verlassen habend, und statt mit Augen aus Materie nun mit geistigen Augen Mich erblickend, könntet ihr erst ganz fühlen, was Ich den liebenden Kindern sein kann und stets war.
Aber für jetzt im irdischen Leib müsst ihr euch gedulden so auch eure Augen gehalten werden, damit ihr ungestört in eurem freien Willen die Bahn der Wiedergeburt langsam voranschreiten mögt, bis endlich ganz von allen irdischen Banden befreit, der Geist Mich als seine Urquelle, seine höchste Liebe und Sehnsucht frei erkennen kann. Hier müsst ihr euch bequemen, Mich durch Meine Worte fühlen, Mich lieben lernen, das gegebene Wort als von Mir kommend tätig ausüben, und dann wird schon noch die Stunde kommen, wo nicht wie dort bei den Jüngern Ich Mich wieder vor ihren Augen verbergen musste, und erst später wieder erschien, und ihnen zurief, „fürchtet euch nicht, Ich bin es!“ Ebenso werde Ich einst auch euch zurufen: „Fürchtet euch nicht! Den ihr so lange geahnt, Ihn im Herzen liebend getragen, jetzt nachdem ihr Ihn ertragen könnt, jetzt steht Er vor euch, seht Ihn an, jetzt könnt ihr Seinen Lichtglanz ertragen, und in der göttlich-menschlichen Form eure eigene wiederspiegelnd euren himmlischen Vater und Schöpfer lieben, von ganzem Herzen, auf ewig und immer. Amen.“
Dies zum Trost und zur Stärkung des Glaubens von Dem, obwohl euch unsichtbar, doch stets gegenwärtigen Vater! Amen! Amen! Amen!


Quelle: „Jesus in Gethsemane“, Neu-theosophische Schrift Nr.34, Kundgabe v. 25. April 1870


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