Schrifttexterklärung
„Und es wird ein Schwert durch deine Seele dringen,
auf dass vieler Herzen Gedanken offenbar würden!“
Lukas 2,35
Empfangen am 9. August 1871
So sprach Simeon einst zu Meiner Leibesmutter Maria als er Mich als Säugling auf den Armen hielt; es war der prophetische Mahnruf eines greisen Weisen, der der jungen Mutter zeigen wollte, dass, obwohl sie in niederen Verhältnissen geboren wurde, doch einst Großes und Schweres leiden müsse, und dass ihr Leben nicht auf Rosen gebettet sein wird!
Sie, in jener Stunde der Mahnung, ahnte nicht, was dieser Mahnruf zu bedeuten habe, ahnte nicht, Wessen Mutter sie eigentlich sei, ahnte nicht, welche Schmerzen sie einst zu erwarten hatte, ahnte nicht, welche hohe Stellung sie auf der Erde in den Herzen der Christ-Gläubigen einnehmen werde, ahnte nicht, welche Freuden und Seligkeiten ihr in der anderen Welt aufbewahrt und bestimmt sind.
Wo sollte dieses einfache Zimmermanns-Weib alle diese Ideen hernehmen, sie, die, obgleich von David abstammend, sich doch nicht einbildete, es würden ihr je königliche und mehr noch als königliche Ehren erwiesen werden.
Dortmals, als das Schwert in ihre Mutterbrust drang als sie auf Golgatha mit tränenvollem Blicke zu Mir, dem Gekreuzigten, aufschaute, wusste sie nicht, dass eben dieser große Schmerz nicht nur allein ihr sondern Vielen ihre eigenen Gedanken offenbar machen werde, und zwar am dritten Tage danach.
Sie wusste nicht, dass auf diese plötzliche, trostlose Leere in ihrem und vieler anderer Herzen, der Tag der Freude, des großen Bewusstseins anbrechen wird, wo sie und die Anderen statt weinend frohlockend ausrufen werden: Der, Den sie gekreuzigt hatten, war nicht ein Erdensohn, sondern war wirklich Der, von Dem Er stets sagte, dass Er von Ihm gekommen und zu Ihm wieder gehen werde. Seine Auferstehung bewies es den Trauernden, den Entmutigten: Er war nicht Mensch, sondern Gott Selbst!
So hat das Schwert der Trauer, das in die Seele Marias drang, ihr und den Anderen die Gedanken in ihrem Herzen geoffenbart, ihnen allen gezeigt, dass Der, Der noch vor kurzer Zeit unter ihnen wandelte, kein Mensch, sondern der alleinige Herr der Schöpfung war!
Dieses erkennend sahen alle die große Kluft in ihren Herzen, die sie als irdisch Geborene von dem Ewigen trennte, sahen den Unterschied zu Seinem moralisch-geistigen Lebenswandel, sahen in Ihm die menschliche Natur bis aufs Höchste potenziert und erkannten nebenbei ihre eigene Nichtigkeit im Vergleich zur geistigen Hoheit Jesus, dem früheren Zimmermanns-Sohn, und dem jetzt wieder auferstandenen Gott, Dem selbst der Tod nichts anhaben konnte.
So war es dort in jener Zeit; und eben jetzt in dem kleinen Zirkel Meiner Kinder, die Ich Mir zu höheren Zwecken heranbilden wollte, eben jetzt ereignete es sich, dass Meinem Schreiber ebenfalls das Schwert der bösen Zungen durch seine Seele drang, dass er wie vom Blitzstrahl getroffen dasteht, und um so mehr, da der Schlag von einer Seite kam, von wo er es am wenigsten vermutete. Gebeugt steht er da unter den grundlosen Anschuldigungen, weiß nicht, ahnt nicht, warum es gerade so geschehen musste!
Sieh, Mein lieber Sohn, wie es einst der Maria ging auf Golgatha und im Tempel bei der Taufe, ebenso geht es dir jetzt. Du seufzest unter dem Druck der Verhältnisse weil du nicht weiter sehen kannst, wie auch Maria einst. Sollte Meine Lehre je Früchte tragen und ewig unzerstörbar sein, so musste es nur auf diesem Weg, durchs Kreuz für Mich, und durch den Schmerz für die Anderen geschehen.
Was dort Meine Kreuzigung und die Erkenntnis der Fehler der Anderen in ihren eigenen Herzen im Großen bewirkte, das bewirkt heute der Schlag auf dich und die Deinen.
Auch dort war das Häuflein derer klein, die Mich liebten, die Mich als ihren Führer betrachteten wie heutzutage dich als Führer der Deinen.
Dortmals standen durch den plötzlichen Kreuzestod die Übriggebliebenen wie vernichtet, wie eine Herde ohne Hirten, und jetzt, wo auch dir zum Teil die Gemeinschaft mit den Deinen abgeschnitten ist, und nur schriftlich oder durch Vermittler es dir erlaubt ist, mit ihnen zu verkehren, so war es auch dort.
Körperlich, irdisch war Ich für Meine Geliebten tot, verschwunden, unwiederbringlich; aber geistig verkehrte Ich doch mit ihnen wie zuvor, tröstete, leitete und stählte sie im Glauben an Mich und Meine Lehre! Dort wurde allen in ihrem Herzen offenbar, erstens wie viel sie Mich geliebt hatten und ob diese Liebe die rechte war, ob nicht vielleicht eine ganz andere Liebe von Mir zu Meiner Lehre angestrebt wurde, und nicht (bloß) die Anhänglichkeit an Meine Person!
Deiner kleinen Gesellschaft ergeht es jetzt ebenso; etwas, das sie sich nicht möglich dachte, geschah; sie sind ohne Führer; sie waren so gewöhnt daran, beinahe jeden Abend Speise aus Meinen Himmeln zu erhalten, so dass sie diese köstlichen Gaben nicht mehr so würdigten wie es eigentlich geschehen sollte; es wurde ihnen bloß zur Unterhaltung, sie verließen sich ruhig auf das immerwährende Führen, so dass ihnen das Alleingehen ganz aus der Übung kam.
Da traf der Schlag ein; der Führer wurde ihnen entrückt, und nun fangen sie an zu gewahren wie wenig sie fähig sind auf eigenen Füßen zu stehen, und wie viel sie außer Acht gelassen haben es zu ihrem eigenen Besten zu benützen, was doch Strömen gleich täglich auf sie hernieder floss.
Seht, Meine Kinder, wie einst Mein Hingang aus diesem Leben notwendig war um Meine Schüler geistig aufzuwecken weil sie sich der Sorglosigkeit allzusehr hingegeben hatten, ebenso ergeht es auch euch heute. Ihr musstet geweckt, eure Gedanken in euren Herzen offenbar werden, damit ihr begreifen lernt auf welcher Stufe als geistige Wesen ihr eigentlich steht. Ihr glaubtet euch alle schon so gut, ja übergut, dass beinahe kein Fortschritt möglich sei. Seht, hier entzog Ich euch die Stütze und jetzt seht ihr leider, auf welchen schwachen Füßen ihr gewandelt seid.
Wie in jener Zeit Meine Anhänger sich erst nach Meiner Wiedererstehung geistig erhoben, ihre Mission erkannten und fest glaubten, was früher nur so halb unter dem Einfluss Meiner persönlichen Gegenwart geglaubt wurde, so ergeht es auch euch; wenngleich nicht wie dort nur drei Tage, sondern mehr Zeit verstreichen wird, so nehmt diese drei Tage bildlich als Zeitepochen, wovon die erste die der Niedergeschlagenheit, die zweite die des geistigen Erwachens, und die dritte die der Wiederkunft eures Führers, und mit ihm Meine direkte Verbindung wieder vor sich gehen wird.
Bereitet euch aber darauf vor! Macht es nicht wie Meine Jünger am Ölberge, die gemütlich schliefen während Ich den Todeskampf kämpfte; sondern wacht und betet auf dass ihr nicht in Versuchung fallt, so rief Ich einst Meinen Jüngern zu, und so sage Ich es euch auch heute!
Wenn ihr Meine Worte, die Ich euch direkt durch Meinen Schreiber sende, als eine Gnade, als eine außerordentliche Gnade von Mir anseht, so macht euch deren auch würdig; denn sonst entziehe Ich euch auch diese und überlasse euch euren mondänen Leidenschaften und Gelüsten.
Bedenkt also, wenn Ich gleich Meinen Schreiber und euch für den Augenblick trennte, so geschah es, um eben durch diese Trennung jedem sein eigenes Ich erst recht fühlbar zu machen und euch zu beweisen, wie wenig ihr ohne Mich seid. Dieses zur Danachachtung von eurem Vater. Amen.
Quelle: "Allgemeine und besondere Lebenswinke für innere und äußere Verhältnisse und Zustände", Sammlung neu-theosophischer Schriften Nr. 39, S. 92