Wort am Weihnachtsfest
Was willst du denn, Mein Kind, dass Ich dir heute sagen soll, da Ich doch für den Weihnachtsabend zur Genüge gezeigt habe, wie er gefeiert werden sollte, und das sei auch versichert, wie er größtenteils nicht gefeiert wird.
Wie einst vor mehr als tausend Jahren nur Wenige von Meiner Geburt etwas wussten, nur Wenige selbst Augenzeugen aller jener merkwürdigen Umstände waren, die Meine Geburt begleiteten, ebenso war es auch gestern nur eine kleine Zahl von Menschen, welche Meine Geburtsfeier würdig begingen, und noch weniger die, welchen Ich wie dir und deinen Freunden direkt wieder in Erinnerung gerufen habe, was dieser Akt war, welches seine Folgen waren, und wie der geistigen Würde des Menschen angemessen derselbe gefeiert werden sollte.
Heute ist das Weihnachtsfest, d.h. der jener geweihten Nacht folgende Tag, wo wie bei jedem Tag, wenn in vergangener Nacht Begeisterung für was immer für einen Gegenstand das Gemüt des Menschen erregte, bei Tageshelle, beim klaren Sonnenschein, wieder der kaltberechnende Verstand hinzutritt, um zu erforschen, was von dem in der Nacht Erlebten haltbar, vernünftig bleibt, und was in das Reich der Träume verwiesen werden muss.
So war es auch in jener Zeit, wo selbst die Augenzeugen Meiner Geburt, als wie die Anderen, welche von dem Ereignis Kunde erhielten, erst des anderen Tages darüber nachdachten: „Ist das, was wir gestern Abend gesehen und gehört haben, Wahrheit oder Täuschung?“ So geht es jetzt auch vielen Menschen, denen es Mühe kostet, das Schöne und Erhabene, welches besonders in nächtlicher Stille, bei prunkvollen kirchlichen Zeremonien, bei Lesung andächtiger Bücher sie gefühlt haben, bei Tag, wo wieder die ganze materielle Welt auf sie einstürmt, festzuhalten und praktisch dann auszuüben, was sie sich in der geweihten Nacht vorgenommen hatten.
Dieses Doppelsein des Menschen bei Tag und bei Nacht hat eben wieder einen tieferen psychisch-geistigen Grund, als die meisten Menschen ahnen. Um euch dieses klarer zu machen, wollen wir hier selbes einer genaueren Untersuchung unterwerfen, und dann auf das Resultat derselben weiter bauen.
Sieh, Mein Sohn, der Mensch bei Tag und der Mensch bei der Nacht sind zwei ganz verschiedene Wesen. Der Mensch bei Tag ist mutig, entschlossen, lässt sich durch nichts so leicht betören, urteilt klar, ist sich seiner selbst als Geist bewusst. Der Mensch bei der Nacht ist furchtsam, oft bis zur Feigheit, kann keinen festen Entschluss fassen, ahnt, ohne zu wissen warum, eine Geisterwelt; es fehlt ihm bei der Nacht das Vermögen des klaren Überblicks, der klaren Überzeugung, er traut sich nichts zu erklären, ist meistens bereit Dinge zu glauben, welche er beim Tag vorerst einer genaueren Prüfung unterziehen würde, ehe er als Tatsache annimmt, was oft gar keine ist. Beim Tag ist der Mensch nicht leicht zu betrügen, bei Nacht aber fehlt ihm die gehörige Urteilskraft und er macht dann Schlüsse, welche beim klaren Sonnenstrahl wie Schnee vor dessen Wärme zerschmelzen.
Auch Meine leiblichen Eltern, sowie andere Augenzeugen Meiner Geburt wussten am anderen Tag nicht, was sie von dem Vorgefallenen halten sollen, und es bedurfte eines Engels, welcher Meine Eltern dann bewog, um Mein Leben zu retten, nach Ägypten zu fliehen, weil sie sonst nicht von der Stelle gegangen wären.
Bei großen Ereignissen, die von Menschen gesehen werden, ist es stets so. Die Anderen, welchen man sie erzählt, glauben sie nicht, möchten alles auf Sinnestäuschung reduzieren, was doch dem Beteiligten bei klarem Sinn begegnete. Diese Widersprüche, dieses Streiten zwischen den Fragen: „träume ich oder wache ich?“ – diese beruhen vorerst auf den Gefühlen der menschlichen Organisation, welche das Licht, besonders Tageslicht oben anstellt, denn was der Mensch durch sein Sehorgan seiner Seele mitteilen kann, gewinnt eher den Schein der Wahrheit, als was er nur gehört oder gefühlt hat, da das Sehen aus klaren materiellen Bildern besteht, während beim Fühlen und Hören imponderable Gegenstände Ursache sein können, wo Sehen mit Menschenaugen unmöglich ist.
Der zweite Grund, warum der Mensch des Tages von dem bei der Nacht sich unterscheidet, ist ein siderischer Einfluss, welchen das Sonnenlicht auf die Materie ausübt, und auch auf die Menschen überträgt. Der Mensch erhält durch die Sonne, so wie seine Erde, Kraft und materielles Leben. Immerwährend strömt selbes von oben ein, es macht den Menschen seiner Kraft, seiner Stärke sich bewusst, der Mensch wagt, denn er sieht, was er tut, und wie er es tut. Diese stets einfließende Kraft des Sonnenlichts verschwindet bei ihrem Untergang, und mit ihrem Licht die Tatkräftigkeit des menschlichen Geistes. Bei Tag glaubte der Mensch ein Herr der Schöpfung zu sein, und bei Nacht ist er ihr Knecht. Bei Nacht, wenn die Erde das während des Tages eingesogene Licht verdaut und zu dem ferneren Bestand ihres eigenen Organismus verwendet, bei der Nacht ist die Erde passiv, während sie bei Tag aktiv ist, das heißt: aufbauend wirkend war. So auch der Mensch; bei Tag wirkt die materielle Welt auf ihn ein, und bei der Nacht die geistige. Beim Tag ist der Seele der Blick ins Universum verschlossen, bei der Nacht tut es sich dem staunenden Auge auf, und bei Nacht, wenn die materielle Welt in ihren Schlafzustand eingetreten ist, da fängt die geistige Wirkung an, welche dem Menschen zeigt, dass hinter dem Hinsinken in scheinbare Ruhe erst ein großes geistiges Wirken beginnt.
Eben dieses dunkle Ahnungsgefühl, welches andeutet, dass hinter der schwarzen Decke der Nacht noch etwas anderes verborgen ist, eben dieses macht den Menschen furchtsam, unschlüssig, weil eine höhere Macht, welche über die Materie erhaben ist, ihren Einfluss fühlen lässt, wo sodann leicht bei oft nicht gerade zu erklärenden Ereignissen selbst die Phantasie das Übrige tut und aus Mücken Elefanten macht.
Ich sagte selbst, dass bei der Nacht die Natur im nächtlichen Schlaf hinsinkend das eingesaugte Sonnenlicht verdaut und zu ihrem Bedarf verbraucht. Was geschieht denn eigentlich beim Schlaf im Allgemeinen? Seht, dieses müssen wir vorerst erörtern, ehe wir diese Phrase, welche eben angeführt wurde, geistig begreifen können.
Beim Menschen geht im Schlaf ein eigener Prozess vor, der ihm die materielle Welt verschließt und die geistige öffnet. Sobald die Tätigkeit des Sonnenlichtes aufgehört hat, dessen erregenden Einfluss auf alles Lebende zu äußern, so tritt ein anderer Stoffwechsel ein als er beim Tag gewesen, d.h. beim Tag war es nur Geben und Empfangen, bei der Nacht empfängt die Natur wenig oder gar nicht, gibt aber dafür doch vieles aus. Beim Tag war durch das Licht der Sonne die Tätigkeit bis in die äußere Umhüllung alles Geschaffenen getrieben, bei Tag strömte durch Blätter, durch die letzten Ausläufer der Bäume, durch die Äste, durch die Umhüllungsschicht, die Rinde, alles Verbrauchte aus, und durch dieselben Organe wurde stets Neues eingesogen; so treibt bei den Tieren und Menschen das Herz das Blut bis in die letzten Haargefäße mit größerer Hast, um den Austausch mit dem Neuzubelebenden zu beschleunigen. So war es ein bildliches Außenleben während des Tages; bei herannahender Nacht ist es umgekehrt, das nach außen strebende Drängen wird nicht mehr ergänzt, es beginnt ein anderes, aber inneres Leben.
Die Blumen schließen ihre Kelche, die Blätter ihre Sauggefäße, die Außenseite der Steinwelt erkaltet, der Kreislauf des Blutes der Tiere und der Menschen beschränkt sich mehr auf das innere Leben, und lässt der Haut wenig Wärmstoff, welches ihr an euch selbst bemerken könnt, da die Kleidung, welche ihr am Leib tragt wohl genügt am Tag, für den nächtlichen Schlaf aber durch Decken von festeren Stoffen ersetzt werden muss, um eine geeignete Wärme-Atmosphäre zu erzeugen, weil die natürliche nicht mehr genügt. Sobald das Blut sich zurückzieht, weil es nicht mehr durch die Außenwelt aufgeregt wird, und einen langsameren Lauf beginnt, schwindet auch die seelische Tatkraft, welche mittelst der Materie sich nach außen während des Tages geäußert hatte. Die Seele, sich nicht mehr des großen Zuflusses von außen bewusst, hat nicht mehr das feste Selbstvertrauen, als könnte sie allen Ereignissen die Stirn bieten; vorerst fehlt ihr das Licht, und zweitens ist im Finsteren alle Bewegung unsicher und jede Kraftäußerung sich keines Erfolges gewiss. Bei dem langsamen Blutumlauf gewinnt die Seele ebenfalls auch mehr Zeit, alles kaltblütig abzuwägen, Schaden oder Nutzen, und da das Selbsterhaltungsgefühl in jedem lebenden Wesen vorherrschend ist, so ist auch eher die Furcht bei der Hand, welche man sonst bei Tag nicht kennt. Der Mensch bei Tag fühlt sich frei, bei Nacht aber gebunden; er fühlt, dass außer der Materie noch etwas existieren könnte, welches ihn beeinflusst, ohne dass er sich dessen Einfluss entziehen könnte.
Die nächtliche Stille, wo jedes Geräusch ihn aufschreckt, der dunkle oder gestirnte Himmel mit seiner Geistersprache, die oft schon mystische Erziehung seit der Kindheit, alles dieses trägt dazu bei, die Menschen bei der Nacht empfänglicher für Geistiges und bei Tag empfänglicher für Materielles zu machen. Das klare Sonnenlicht ist mit dem wirklichen materiellen Leben zu vergleichen; das Sternenlicht, das bloße Mondlicht, die dunkle Nacht, mit dem Leben nach Ablegung der Materie, mit dem geistigen Sein, wo die Menschen nur schwache Umrisse, aber keine deutliche Formen besitzen (wie auch im Sommer die materielle und im Winter die geistige Tendenz vorwiegt).
So war der erste Satz dieses Wortes, wo Ich sagte: Heute ist der geweihte Tag, welcher auf die geweihte Nacht folgt ebenso gemeint, weil eben am Tag bei klarem Sonnenlicht oder beim klaren Verstandesurteil die erlebten Ereignisse erst abgewogen werden, welche im abenddämmerlichen oder nächtlichen Dunkel sich ereignet haben.
So erging es Meinen Eltern und ihren Freunden, so ergeht es jetzt noch Tausenden und anderen Tausenden, und wieder andere Tausende haben von der gestern verflossenen Weihnachts-Nacht kein anderes Andenken mit sich in den heutigen Tag mitgebracht, als dass sie Kopfweh wegen zu vielem Genießen haben, und den Magen durch zu viel Durcheinanderessen verdarben.
Von den letzteren Tier-Menschen wollen wir nicht reden; denn diese haben noch einen weiten Weg bis sie zur Einsicht kommen werden, erstens dass es etwas Besseres als Essen und Trinken gibt, und zweitens bis sie einsehen werden, wenn sie einen Religionskultus wirklich befolgen, was Zeremonie und was Geist ist! Dass es der Letzteren eine Unzahl gibt, weiß Ich leider, allein die Ewigkeit ist lang, und es wird schon auch für sie noch eine Stunde schlagen, welche sie zum Nachdenken über ihre und Meine Existenz zwingen wird.
Mit was Ich heute Mich beschäftigen und euch noch mehr ans Herz legen will, das ist eben das für gestern euch gegebene Wort. Gut, ihr kennt nun dessen Inhalt, habt den guten Eindruck davon mit nach Hause genommen, habt, eben weil es Abend war, mehr den geistigen Einfluss Meines Worts gefühlt. Jetzt frage Ich euch aber, wie viel von all dem ist für heute, und wie viel fürs künftige Leben übriggeblieben? Euch schöne Worte vorzusagen, eure Neugierde zu befriedigen, ist aber nicht Mein Zweck, wie es auch nicht gerade für euch allein ist, was jetzt Mein Schreiber zu Papier bringen muss, sondern alles dieses, was ihr schon erhalten habt und noch in Aussicht steht, gehört für eine andere Generation, wo ihr dann als Geister ebenfalls Teilnehmer sein könnt, um Dasjenige nachzuholen, was ihr hier versäumt habt.
Es ist wahr, Ich gebe euch diese Worte, allein eben weil Ich sie euch gebe, so lade Ich auch eine größere Verantwortlichkeit auf eure Schultern, da bei Mir das Wissen allein nicht genügt, sondern das Tun nach Meinen Worten erst dasjenige ist, was Ich von euch verlange!
Nun, was dieses Tun betrifft, so muss Ich euch schon das Zeugnis geben, dass ihr da eben gar nicht zu eifrig seid, und heute schon, wo eine schwache Erinnerung von gestern nur geblieben ist, sehr wenig es euch angelegen sein lasst, das, was Ich euch gestern sagte, auch heute schon auszuüben.
Du, Mein Schreiber, batest Mich um ein Wort, um heute, wo Ich als geboren betrachtet bin, auch in deinem Gemüt Mich auszugebären, und Meine Lehre dir stets mehr eigen zu machen, und Geduld, Verzeihung und Vergessen auszuüben, wozu Ich’s bei dir nicht fehlen lasse. Dir habe Ich dieses Wort gegeben, du hättest auch ohne dasselbe an Mich gedacht, das weiß Ich, aber da du Mich aufforderst, mit dir den heutigen Tag zu feiern, so wollen wir beide miteinander arbeiten, Ich gebe dir den Samen, und du sollst ihn ausstreuen, vielleicht fällt er auf manchen guten Boden, und wenn unter hundert Fruchtkörnern auch nur eines zur Reife gelangt, so hast du genug getan. Ich wirke dann schon noch länger im gegebenen Wort, und werde noch Anhänger finden und erwecken, wenn du längst von dieser Erde abgetreten im Geisterreich bei Mir sein wirst, und dich des Resultates erfreuen kannst, wozu du ebenfalls ein Werkzeug warst. Feier du diesen Tag nach deiner Weise, und trage dazu bei, dass auch deine Anhänger Meine Worte nicht gerade heute, sondern für das ganze Leben hindurch den gestrigen Abend und den heutigen Tag nicht vergessen, wo gestern auch in ihnen der Christus wiedergeboren wurde, ebenso wie Meine Lehre ewig in ihrem Herzen fortleben soll.
Sage ihnen, dass Meine Eigenschaften nachzuahmen der Hauptzweck Meiner Worte ist, die Ich bei so vielen Gelegenheiten an sie verschwende, sage ihnen, dass sie sich befleißen sollen, ihr geistiges Ich aufzubauen, denn, wie Ich gestern anführte, die Zeit flieht, flieht mit Sturmeseile, und will und soll benützt sein, denn wer der materiellen Welt anhängt, richtet sich selbst, da er, wenn er heute das Zeitliche mit dem Ewigen vertauschen muss, nur dorthin kommt, wohin ihn sein Herz zieht. Lebt er der Materie, so wird er an selber haften bleiben, lebte er ein geistiges Leben, so wird sich ein Geisterreich vor ihm auftun, welches seiner Individualität angemessen sein wird. Zwischen beiden in der Mitte stehen und bald das Eine und bald das Andere zu bevorzugen, wird zu keinem Resultat führen, denn erinnert euch, was Ich einst Selbst sagte:
„Zwei Herren kann man nicht dienen!“
Also entscheidet euch mit Ernst! – Wie heute Christus als geboren angesehen wird, ebenso soll in eurem Herzen Er und Seine Lehre neugeboren euch dem kommenden Jahr entgegenführen, damit ihr würdige Schüler Meines Schreibers und einst würdige Kinder eures Vaters im Himmel werden könnt. Amen!
Quelle: Betrachtungen an Weihnachten nebst Worten zum Jahreswechsel, Erscheinungsfest, Geburtstag, Carneval, Tanz und Frühling, Neu-theosophische Schrift Nr. 44, Kundgabe vom 25. Dezember 1876